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Begleiteter Ausstieg aus Pornografie und Sexsucht

Die Beratungsstelle KommCare Basel berichtet, dass sie im 2014 rund 40 Männer, die mit Pornografie oder Sexsucht kämpften, begleitet hat und unzählige weitere in einzelnen Beratungsprozessen.

„Betroffene sind unter ihrer Scham oftmals jahrelang wie gelähmt, sich Hilfe zu suchen. Der Schritt zum Gespräch oder gar in die Gruppe ist ein grosser“, sagt Benjamin Schaffner von der Beratungsstelle KommCare. „Der Prozess jedoch ein sehr heilsamer, weil jeder Teilnehmer erfahren darf, dass er nicht alleine ist und es einen Ausweg aus den ständigen Suchtkreisläufen und den Abstürzen geben kann.“ Dies erfolge allerdings in der Regel nicht alleine. Die Haltung, „Ich schaffe das alleine, ich brauch keine Hilfe …“, seien (Abwehr-) Sätze die zum Süchtigen gehörten, wie seine ständig sich wiederholenden Rituale, sein Lügennetz, sein Abstumpfen. Berliner Wissenschaftler hätten festgestellt, dass häufiger Pornokonsum das Gehirn schrumpfen lasse. Man vermute, dass regelmässiger Pornokonsum das Belohnungssystem (Striatum/Hirnregion, die zum Belohnungssystem gehört) ausleiere, so dass immer stärkere Reize benötigt würden, um Befriedigung zu erreichen.

Allein in der USA würden pro Jahr zehn Milliarden Dollar für Pornografie ausgegeben, berichtet KommCare. 11‘000 neue Pornofilme würden jährlich produziert. Frauen seien in diesen Filmen keine Menschen, sondern nichts als drei Löcher und zwei Hände. Dass Pornografie Gewalt ist, unterstrichen beispielsweise Artikel aus „Emma“ („Die Wahrheit – im Zentrum steht der Schmerz“) oder Alice Schwarzer in ihrem Buch „Prostitution, ein deutscher Skandal“. Pornografie und Menschenhandel gingen Hand in Hand.

„Pornosucht wird zum Problem für Junge“

Betroffen seien nicht nur Erwachsene: Das Durchschnittsalter, in dem Kinder erstmals Pornos sehen, sei inzwischen auf elf Jahre gesunken. Am 31. März 2014 berichtete „20min.ch“: „Pornosucht wird zum Problem für Junge“. Schweizer Sexualtherapeuten schlügen Alarm. Die Zahl der jungen Erwachsenen, die pornosüchtig seien, steige rasch an. Sexologin Marie-Helene Stauffacher stellte fest, dass sich immer mehr unter 25-Jährige deswegen bei ihr behandeln liessen. „Gerade junge Männer sehen in Pornos einen direkten Weg zur Befriedigung“, sagte sie in der Zeitung „Le Matin“. Die Folge: „Sex mit einer Partnerin scheint plötzlich kompliziert zu sein.“ Die Jungen befürchteten, zu wenig Ausdauer zu haben und die Mädchen, den Vorstellungen ihrer Partner nicht gerecht zu werden. Dr. C. Bessler, Chefärztin Kinder- und Jugendforensik, Zürich, meinte zu übermässigem Pornokonsum im Teenageralter: „Es kommt bei Jugendlichen zu Fehlannahmen, was einer Frau gefällt und was nicht.“ Zudem seien diese Jugendlichen dann nicht mehr empfänglich für zarte Flirts, es müsse immer gleich zum Geschlechtsverkehr kommen.“ Am 21. November 2014 gab „Dr. Sex“ einem Pornosüchtigen in „20 Minuten“ den Rat: „Wie du schreibst, hast du bereits mehrmals erfolglos versucht, dein Verhalten zu ändern. Es scheint mir daher wenig sinnvoll, es ein weiteres Mal auf eigene Faust zu probieren. Suche dir stattdessen eine Fachperson, die dich im anstehenden Veränderungsprozess begleitet. Sich einem fremden Menschen gegenüber zu outen ist zwar möglicherweise beschämend, gleichzeitig aber auch ein erster Schritt zur Bewältigung des Leidens …“

Begleitetes 20-wöchiges Ausstiegsprogramm

Die Erfahrungen von KommCare würden diese Medienberichte bestätigen, sagt Schaffner. Darum würden auch im Jahr 2015 wieder zwei neue Gruppen in Basel starten mit Teilnehmern aus dem Dreiländereck. Es gehe im begleiteten 20-wöchigen Programm (mit Anschlussmöglichkeiten) um Pornographie-Abhängigkeit, Sex- und Internetsucht. Während dieser Zeit würden Betroffene lernen, den sich ständig wiederholenden Suchtkreislauf zu entlarven und geeignete Massnahmen zu treffen, um diesen zu unterbrechen. „Wir arbeiten in dieser Phase vor allem auf der verhaltenstherapeutischen Ebene. Der Teilnehmer lernt jedoch auch einige der Themen kennen, die üblicherweise einem Suchtverhalten zugrunde liegen.“ Einige würden während oder nach der Gruppe weitere Angebote wie Seelsorge, andere Gruppenprogramme oder auch psychische Fachhilfe, Eheberatung usw. beanspruchen. „Fast übereinstimmend sagen uns Betroffene, dass sie die Gruppe als sicheren Ort und Oase erleben würden, an dem sie über dieses belastende Thema austauschen können und Hilfe, Unterstützung und Coaching erhalten.“

Liberty4You

Das Programm heisst „Liberty4You“ und unter der Plattform www.liberty4you.ch finden Betroffene viele Informationen rund um das Thema. „Freiheit für dich“ drücke einen Wunsch und eine Hoffnung für die Betroffenen aus, sagt Schaffner. Viele hätten bereits einen langen Weg hinter sich, bis sie für sich Hilfe in Anspruch nehmen würden. „Meist sind noch sehr viele Fragen offen, wie z. B. ‚Bin ich wirklich süchtig?’, ‚Gibt es Sexsucht überhaupt oder ist das für Männer nicht normal?’, ‚Wie sieht denn eine mögliche Hilfe aus?’, ‚Wie kann ich frei werden und frei bleiben?’, ‚Wie können Angehörige damit umgehen (Co-Sucht)?’ usw.“ Liberty4you ist eine angeleitete Selbsthilfegruppe und besteht seit 2006. Die Selbsthilfegruppe basiere auf dem biblischen Menschenbild, sagt Schaffner, sei aber an keine bestimmten Kirche oder Glaubensrichtung angeschlossen. „Liberty4You ist eine Arbeit, die Sex- und Pornosüchtige in die Freiheit begleiten will. Liberty4You will aber auch Infoportal sein, nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für Angehörige, Seelsorger und Therapeuten.“

Ein ehemaliger Teilnehmer in der Selbsthilfegruppe gibt zu Protokoll: „Durch Liberty4You habe ich überhaupt erst richtig erkannt, dass ich sexsüchtig bin. Früher habe ich immer gedacht, ich wäre der einzige Mensch mit solchen Problemen und bin mit meiner Scham alleine geblieben. Und so habe ich inzwischen den Mut gefunden, über meine Sucht zu reden – auch mit Männern aus der Gruppe, u. a. an den Abenden während der Gruppe – und die Hintergründe verstehen, respektieren aber auch hinter mich lassen zu lernen. Stück für Stück kann ich aufarbeiten, was mich in die Sucht geführt hat, und finde im Prozess mit anderen Betroffenen Lösungsmöglichkeiten, wieder frei und heil zu werden. Das passiert nicht von jetzt auf gleich, aber die kleinen wöchentlichen Fortschritte geben mir Kraft und Mut am Prozess dranzubleiben und auch andere zu ermutigen sich ihrer Problematik zu stellen. Ich freue mich auf die weiteren Schritte im Prozess und kann Liberty4You allen Betroffenen nur sehr ans Herz legen.“